34. Pole Poppenspäler Tage 2017
Mary Shelleys Frankenstein
Theater Laboratorium Oldenburg
Um es vorweg zu nehmen: Die gröÃte Leistung dieser Aufführung besteht in der Tatsache, dass sie sich derart mit der Vorlage beschäftigt hat, dass man den Drang verspürt, sich selbst näher damit zu befassen, Mary Shelleyâs âFrankensteinâ einfach noch mal zu lesen.
Pavel Möller-Lück verzichtet auf oberflächliche Horrorgrotesken und legt den Fokus nicht nur auf die Frage, wie weit ein Mensch gehen darf â was ist im Namen der Wissenschaft erlaubt? Darf man sich zum Schöpfer, zum Herren über Leben und Tod machen? Er geht zum Kern der Geschichte und entlarvt Dr. Frankenstein als egoistischen und empfindungslosen Wissenschaftler, der zwar ab und an von moralischen Skrupeln umweht wird, der schlussendlich aber nur ein ehrloser Mann ist, der sich seiner Verantwortung entzieht, seine Versprechen nicht einlöst, seine Arbeit nur als Mittel zum Ruhm sieht und am Ende sich, seine Verlobte und seine âKreaturâ ins Unglück stürzt.
Es ist ein sehr kontrovers diskutiertes Stück das manch ästhetischem Empfinden nicht immer gerecht wird. Schon die Bühne, das Labor des Doktors, durch einen groben Maschendrahtzaun vom Publikum abgegrenzt, erweckt mit zunehmender Spieldauer den Wunsch nach einer anderen Kulisse. Im zweiten Teil werden die Apparaturen mit weiÃen Tüchern verhängt, und stellen damit eine Hochzeitstafel, später eine Packeislandschaft dar.
Genauso punktuell ist das Spiel an sich, es reicht, wenn Frankensteins âMonsterâ den Kopf durch die Maschen des Zaunes steckt und jeweils die Schreie einer Frau, eines Mannes, eines Kindes ertönen, um das Grausen vor dieser Gestalt zu veranschaulichen. Der Verzicht auf horrende Effekte ist am wirkungsvollsten zu erkennen, als das âMonsterâ, welches durch einen Schauspieler (Jonathan Wendt) dargestellt wird, eben nicht grässlich und entstellt geschminkt ist. Und ja, die Angstschreie sind laut und für das Publikum anstrengend. Und ja, das âMonsterâ hat anfänglich noch nicht gelernt zu sprechen, also grunzt es unablässig; anstrengend! Und ja, wenn die Figuren sich in der Interaktion kaum einander zuwenden, so ist das technisch auch nicht perfekt. Aber es bleibt nur kleinmütige Krittelei, die der Komposition der Aufführung nicht gerecht wird. Lange spielerische Passagen wechseln mit skizzenhaften Andeutungen, dazu eine Stimme aus dem Off mit Auszügen aus dem Originaltext. Begleitet von einer Musik, die fast über die komplette Inszenierung zu hören ist, dramatisch und eindringlich, dem Tempo angepasst und auf den Punkt gesetzt, gipfelnd in einem dramatischen Requiem von Verdi, die Katastrophe am Ende verdeutlichend.
Es passt durchaus, wenn Möller-Lück sich am Schluss die Freiheit nimmt, den Ausgang der literarischen Vorlage ein wenig zu ändern. So folgt Frankenstein seinem Geschöpf ins ewige Eis, um den Mord an seiner Verlobten zu rächen, liegt dem Tode nahe am Boden und wird von seiner Kreatur ob seiner Kraftlosigkeit gleichermaÃen verhöhnt und unerwidert geliebt, als Vater, als Schöpfer als eine Seele. âWir gehören doch zusammenâ fleht das âMonsterâ in seiner qualvollen Einsamkeit.
Immer wieder wird beklagt, dass man Figurentheater nur als künstlerische Nische ansieht, die kein gröÃeres Publikum erreicht und generell keinen Tiefgang besitzt. âFrankensteinâ mag laut und düster sein, aber er ist fulminant in Szene gesetzt und eine ernst zu nehmende Adaption des Stoffes. Mit dieser Aufführung hat das Theater Laboratorium den Versuch unternommen, das Genre âFigurentheaterâ aus dieser Ecke zu zerren und ihm den Ausdruck, die Stärke, Kraft und professionelle Gesetztheit zu geben, das es im groÃen Theaterbetrieb durchaus zu leisten vermag.
Torsten Zajwart