34. Pole Poppenspäler Tage 2017
Der Mann, der niemals weinte
Theater Laboratorium, Oldenburg
Wenn der demente Opa âIch packe meinen Koffer . . .â spielt und immer gewinnt, so scheint die Welt doch noch in Ordnung zu sein.
Paul wird 87 und anlässlich seines Geburtstages reist seine Enkelin Marie an. Sie und ihr Vater Severin versuchen, ihr Leben mit dem dementen GroÃvater so normal wie möglich zu gestalten; so normal, wie es die Umstände gebieten. Und wenn es rein faktisch auch nicht korrekt ist: Es ist ein Solo für Pavel Möller-Lück. Er slapstickt und kalauert sich über die Bühne, legt ein hinreiÃendes Tempo vor, ein Derwisch des Wortwitzes, eine ungezügelte Situationskomik die ausgebreitet wird. Faktisch nicht ganz korrekt, da Esther Vorwerk die Rolle der Enkelin sehr glaubwürdig spielt und Paul, die einzige Puppe in diesem Stück dominant und omnipräsent ist.
Es ist ein Schaulaufen zwischen allerbestem Ohnsorg Theater â die Bühne als bürgerliches Wohnzimmer hergerichtet tut das ihrige dazu â und absurdestem Ionesco. Da stellt man irgendwann fest, dass Severin einen gaunerhaften Handelsvertreter in den Schrank gesperrt und ihn dort vergessen hat; da spricht Marie mit der toten GroÃmutter und Paul versprüht einen bissigen Humor und Sarkasmus als sei er lange Zeit mit Helmut Schmidt befreundet gewesen. Und wenn die Kalauer gekonnt und teilweise im Stakkato abgeschossen werden, so fragt man sich, ob das Thema Demenz hier richtig angegangen wird, als sei diese Krankheit lediglich ein Schnupfen. Doch bevor alles überbordet, gibt es immer wieder Sequenzen, in denen Paul sich schmerzlich erinnert: an seinen Vater, der nie aus dem Krieg zurückgekommen ist, an die Fliegerangriffe, an seine verstorbene Frau. Sequenzen, fast in Zeitlupe, im Stillstand, von tiefer Melancholie durchdrungen bevor erneut Tempo aufgenommen wird. Die Inszenierung läuft nie Gefahr, in Klamauk zu enden. In einer der rührendsten Szenen, gaukeln Marie und Severin dem GroÃvater eine Zugfahrt zum Kap der Guten Hoffnung vor. In Afrika angekommen, lässt Marie, an einer Durchreiche in der Schrankwand, zum Zugfenster umfunktioniert, Giraffen, Büffel und Elefanten vorbei ziehen und jedermann spürt, wie glücklich Paul in diesem Moment ist.
Vater und Tochter, die sich anfänglich â auseinandergelebt wie sie waren â nicht einmal zur BegrüÃung umarmen konnten, führen Paul in eine Welt des Wohlseins des gemeinsamen Erlebens und erfahren gegenseitig eine Liebe zueinander, die sie vorher nie wahrgenommen haben und die sie bis in die letzte Reihe des Zuschauerraums transportieren. Stehende Ovationen!
Torsten Zajwart