Rückblick

30. Pole Poppenspäler Tage 2013

Mathilde
The Stuffed Puppet Theatre, Amsterdam, Niederlande

Die Zuschauer spüren es gleich, der Kosmos dieses Altenheims ist eine ganz eigene, bedrückende Welt. Die skrupellose Heimleitung versteht es, die alten Leute unter Verschluss zu halten und ihnen jeden selbstständigen Kontakt zur Außenwelt zu verwehren. Doch einem mutigen „Insassen“, einem alten Herrn, gelingt es schließlich, heimlich die Presse anzurufen.Inständig ersucht er um Hilfe, möchte auf die schlimmen Zustände im Heim aufmerksam machen. Denn die Heimbewohner werden oft eingeschlossen, kontrolliert, sich selbst überlassen und menschlich in jeder Hinsicht vernachlässigt. Als sich die Journalisten daraufhin im Heim anmelden, begegnet die alarmierte Heimleitung diesem Vorstoß mit einer Marketing Show. Man lässt es an nichts fehlen, inklusive einem geborgten Schmusehündchen aus dem Tierheim. Doch die Presse will zum großen Schrecken der Heimleiter auch noch die Bewohner sprechen und kennenlernen… Neville Tranter lässt sich in der Darstellung der einzelnen Szenen schmerzhaft viel Zeit, man spürt beinahe körperlich, wie die Stunden aus zähen Minuten bestehen, jede von ihnen muss und will ertragen, durchlebt und durchlitten werden.Wir lernen einige Personen näher kennen: allein gelassen kreisen ihre Gedanken um ihr Leben, ihre Träume, die Vergangenheit. Keine lebendige Gegenwart ist für sie da, um sie zumindest für eine kleine Weile von sich selbst und dem alt werden zu erlösen. Darauf reagieren einige der Heimbewohner mit Resignation, während die 102-jährige Mathilde jeden Tag zäh und entschlossen ihre Klimmzüge an der Reckstange vollführt, so lange und so gut sie eben noch kann. Schließlich findet sie im Tod selbst eine milde Erlösung, denn er erscheint ihr in Gestalt ihres ehemaligen Geliebten Jean-Michel, und gemeinsam tanzen sie behutsam und zärtlich aus dem Leben. So entsteht eine poesievolle Kraft, eine Hoffnung, da, wo sonst nur noch Dunkelheit herrscht… Die von Neville Tranters geführten Puppen bringen uns schonungslos nahe, wie wichtig es ist, sich für ein menschenwürdiges Dasein jener einzusetzen, die sich nicht mehr wehren können.Das gelingt ihm ohne erhobenen Zeigefinger und umso mehr geht das Stück unter die Haut. N.Fischbach und A.Berger