25. Pole Poppenspäler Tage 2008
Kasper tot. Schluss mit lustig?
Lutz Großmann, Berlin
"Bin ich zu früh?" Die listige Frage des Todes gleich zu Beginn fordert aus dem Dunkel des Rittersaales umgehend Protest heraus. Dieser Zeitgenosse kommt immer zu früh - ob im wahren Leben oder auf der Bühne. "Tritratrullalla" - Kasper ist leicht depressiv und präsentiert sich in ganz neuem Outfit: kahler Schädel statt Zipfelmütze, mit einem Hauch von fluffiger Feder geschmückt, schlichtes Leinen ersetzt das bunte Kostüm. Der Berliner Lutz Großmann steht am Anfang eines Handpuppenspiels, das - an der Grenze zwischen Leben und Tod - alle in seinen Bann zieht: Kasper tot. Schluss mit lustig?"
Mal schrill, mal frech, mal laut, mal leise, mal mit feiner Ironie und mal mit finsterem Humor ausgestattet, lässt der facettenreiche Gesell' das Publikum verstummen und mitleiden. Kasper hat es offensichtlich satt, seit Generationen immer nur lustig zu sein. Ganz neue, zeitkritische Töne schlägt er an. "Hartz IV" für Gretel, die keine Kinder hat - im Laufe des Abends soll er daran schnell mal was ändern. Kein Krokodil als Gegner, dafür Tod und Teufel - und ein Textbuch, das beim letzten Wort nicht nur geschlossen wird, sondern auch Kaspers Tod bedeutet. "Ja, kann man tenn ta kar nischt machn?" - Puppenbühnen-Sächsisch prasselt auf die begeisterten Zuschauer nieder. Der einzig wahre Kasper, vom Arzt mit der Diagnose "todkrank" konfrontiert, kann und darf einfach nicht "stärbn".
Wie fände der Sensenmann die demente Großmutter, die sich losgerissen hat und aus dem Heim geflohen ist, als Ersatz? Da schlägt einsam die Turmuhr des Schlosses. Wie passend: Kasper hält diese sofort für sein "Totesklöckschn" und will sich vom imaginären Brückengeländer verzweifelt in die Tiefe stürzen. Ein harscher Befehl entlockt der unheimlichen Stille im Saal erleichtertes Lachen: "Runter da - hier wird nicht in die Tiefe gepisst!" Was soll der arme Kasper auch machen, wenn der König das Pflegegeld für alle Omas streicht und Gretel ihm vorwirft: "Du liepst mich nischt mär!" So blickt er verzweifelt in die Runde: "Ich sitz' ganz schön in der Scheiße, was? Und ich hab' das Gefühl, Sie finden das auch noch lustig."
Das nahe Ende reißt den witzigen Kerl ganz schön runter. Was soll mit ihm "danach" geschehen? Eine Frage direkt ans Publikum, das der Puppenspieler immer wieder in die Handlung mit einbaut. Teilweise könnte man die berühmte Stecknadel fallen hören. Am Ende wird die Hauptfigur vom Tod geküsst und fügt sich diesem - vermeintlich - unwiderruflichen Schicksal.
Doch Kasper wäre nicht Kasper, wenn er nicht seine demente, zum Sterben bereite Großmutter unter dem Bettlaken verborgen und dem Tod untergeschoben hätte. Totenstille Das Publikum denkt nach. Nie wieder "Tritratrullalla"? Vereinzelt werden "Kasperle"-Rufe laut. "War doch nur'n Spaß", wischt dieser aufkommende Zweifel hinweg und verneigt sich vor dem heftig applaudierenden Publikum: Kasper bleibt unsterblich.
Uta Knizia