Rückblick

23. Pole Poppenspäler Tage 2006

Des Kaisers neue Kleider
Theater Laboratorium, Pavel Möller-Lück, Oldenburg

Es sind seine sprühende Fantasie, die schier unerschöpfliche Spielfreude und der verschmitzte Humor, die Pavel Möller-Lücks Stücke unvergleichlich machen. Da bildet seine jüngste Inszenierung, "Des Kaisers neue Kleider" - frei nach Hans Christian Andersen -, keine Ausnahme. Und doch war am Sonntag, zum Abschluss der 23. Pole-Poppenspäler-Tage, etwas anders als sonst. Gewiss: Auch diese Produktion des Laboratoriums strotzt vor Situationskomik, Running-Gags, kleinen Spitzen. Und beim Blick auf das Bühnenbild überkommt das Publikum wieder die üblichen, seltsam heimeligen Gefühle (obgleich es doch weiß, dass alles bis ins kleinste Detail durchdacht ist). Doch was Inszenierungen wie "Wenn ich wieder klein bin" oder zuletzt "Monsieur Ibrahim" unwiderstehlich machte, wollte sich bei "Des Kaisers neue Kleider" nicht immer einstellen: Jene heitere Melancholie, mit der Möller-Lück den Zuschauer durch die Höhen und Tiefen des Lebens zu führen versteht. Dass eine Ente "fast so hässlich ist wie Roland Koch", und die Chinesen "ihre Zeit erst mit Mao verplempern und danach alles abkupfern", mag für einen schnellen Lacher recht sein, für einen großen Puppenspieler und begnadeten Dramaturgen ist es fast ein bisschen billig. Besser, viel besser dagegen der Geistesblitz, den Kaiser eine Art Mafia-Gestalt irgendwo zwischen Harald Juhnke und Karl Lagerfeld annehmen zu lassen. Ebenso einfach wird H. C. Andersens blühende, ja mitunter überbordende Fantasie in den unterschiedlichen Spielebenen und -dimensionen widergespiegelt. Zum Beispiel, wenn Herr Møllerup (Möller-Lück) und Kollege Mullewulf (Markus Wulff), die sympathisch durchgeknallten Erfinder und Lebenskünstler, in ihrer Alchimisten-Werkstatt der 30-er Jahre aus Miniaturtassen Kaffee schlürfen, während sie der Frage nachgehen, warum in Kopenhagen eigentlich alles kleiner und kleiner wird. Nur der Kaiser hat sich dieser Entwicklung noch nicht angepasst. Doch mit einem Coup soll es Møllerup und Mullewulf gelingen, ihm nicht nur ein Outfit nach Maß zu verpassen, sondern zugleich seine Schwächen nebst ein paar unmaßgeblichen Körperteilen freizulegen. Der nackte Kaiser auf dem Silbertablett - wenn das keine Allegorie ist? Und so jubelt das Volk. Der eine Teil im Angesicht des aufgedressten Monarchen, der andere wegen Möller-Lücks Inszenierung. Es ist das alte Spiel. Nur der kleine Christian Nielsen behält den Überblick und sagt dem frisch gebackenen Star-Designer, dass er - anders als seine Eltern - nur einen nackten König gesehen hat. Ein Riesenspaß mit Hintersinn, aber auch einigen wenigen und daher zu verschmerzenden Schwächen. Rüdiger Otto von Brocken